Freitag, 26. Oktober 2012

Ablenkung und Kaufrausch

Nun war ich also erst mal an meine Wohnzimmercouch gefesselt, eine Position, die ich mir in den vergangenen 20 Jahren mit stetig steigender Begeisterung immer häufiger freiwillig ausgesucht hatte und von der ich dachte, ich könnte damit für den Rest meines Lebens zufrieden sein!

Doch dann kam Golf.

Mist, meine verlässlich durchgeplante Karriere als zufriedene Couch - Potatoe bis hin zum sozial verträglichen Ableben im Eimer - zumindest die damit verbundene Zufriedenheit.

Die höllischen Schmerzen der Tage nach dem Turnier machten mir natürlich zu schaffen, mehr aber noch die Aussicht, auf absehbare Zeit nicht wieder Golf spielen zu können. Was zum Teufel war eigentlich passiert, dass mir diese Freizeitbeschäftigung in so kurzer Zeit und trotz meiner miserablen Ergebnisse so ans Herz gewachsen war? War das Suchtpotenzial so hoch, weil die Bälle mit irgendeinem langanhaltend wirkenden Kontaktgift versetzt waren?

Diese Grübelei über die unglaubliche Wirkung des Golfsports auf mich hatte ich natürlich auch schon einige Male vor meiner Verletzung erlebt. Nun aber war ich plötzlich mit so viel zusätzlicher Freizeit ausgestattet, dass dieses Thema fast zwangsläufig erneut meine Gedanken enterte.

Letztlich kam ich zu einem Ergebnis, dass ich ursprünglich in einem eigenen Blogthema schon vor einiger Zeit verarbeiten wollte, dass ich aber genauso gut hier verwursten kann:

Golf ist (für mich) wie Meditation. Mehr noch, es ist wie eine Therapie.

Beim Nachdenken über diese Erkenntnis wurde mir in erschreckender Klarheit bewusst, dass Golf zurzeit die einzige Tätigkeit in meinem Leben war, bei der ich vollkommen glücklich war, bei der es mir uneingeschränkt gut ging, und das bei allem Ärger über versemmelte Schläge u. ä.

Nicht, dass jetzt der Eindruck entsteht, ich hätte sonst kein gutes Leben. Ich habe vor fast 20 Jahren meine Traumfrau heiraten dürfen und bin nach wie vor extrem glücklich mit ihr. Wir beide trotzen auch nach wie vor der implizierten Message einer lustigen Kaffeetasse, die ich neulich sah und auf der zu Lesen stand: "Nein, ich spiele kein Golf. Ich habe noch Sex!" An der Front also alles in Ordnung. Meine Kinder sind - soweit ich das trotz väterlicher Befangenheit einschätzen kann - mehr als gut geraten und auch das Verhältnis zur übrigen Familie stimmt. Freunde sind ebenfalls in einem angenehmen Maß vorhanden und ich weiß mein Leben auch sonst mit allerlei erfreulichen Kleinigkeiten zu füllen. Ich bin also durchaus einer der wenigen Menschen auf dieser Welt, die von sich behaupten können, ein weitgehend vollkommenes, erfülltes und glückliches Leben zu führen.

Was mich seit längerer Zeit einzig, aber zunehmend, belastet, ist die Arbeit. Das ist ein Thema, welches im Detail sicher nicht in die Öffentlichkeit, schon gar nicht ins niemals vergessene Internet gehört, deshalb nur soviel: Bestimmte Umstände meiner Tätigkeit als Landesbeamter Berlins (Oh, immer diese auf hohem Niveau jammernden Beamten werden jetzt vielleicht einige denken. Denjenigen sei in aller Gelassenheit und Bestimmtheit an dieser Stelle mitgeteilt: Verfatzt euch und räumt mal mit euren Vorurteilen auf!) sorgen dafür, dass ich seit Jahren einem erheblichen Stress ausgesetzt bin, den ich, zugegebener Maßen, aufgrund meiner Persönlichkeitsstruktur, meiner Arbeitseinstellung und meiner freiwilligen Übernahme von zusätzlicher Verantwortung, zu einem guten Teil auch selbst verschuldet habe. Dazu muss man aber wissen, dass eine meiner - in zahllosen dienstlichen Beurteilungen immer wieder hervorgehobenen - Qualitäten, gerade der souveräne Umgang mit einem erheblichen Maß an Stress und Arbeitsbelastungen ist, das Problem also nicht in einer grundsätzlich geringen Belastbarkeit liegt. Ohne nun also näher auf die genauen Umstände einzugehen und nur, um die Massivität der Belastung klar zu machen, sei abschließend ausgeführt, dass sie mich mittlerweile schon seit geraumer Zeit zu der Erkenntnis gebracht hat, dass die Worte "Depression" und "Burn Out - Syndrom" für mich keine Fremdwörter mehr sind.

Und nur, um nicht missverstanden zu werden, erstens handelt es sich hierbei um reine Verdachtsdiagnosen, die ärztlicherseits noch nicht bestätigt sind und zweitens erzähle ich das an dieser Stelle nicht, um Mitleidsbekundungen oder gute Ratschläge zu sammeln, sondern lediglich, weil ich finde, dass es ein unhaltbarer Zustand in unserer Gesellschaft ist, dass solche häufigen und mittlerweile fast schon "normalen" Krankheitsbilder noch immer derartig tabuisiert sind. Deshalb habe ich beschlossen, mit meiner Sorge darum vollständig offen umzugehen.

Jedenfalls führt dieser momentane Zustand dazu, dass ich bei keiner der o. g. Annehmlichkeiten meines Lebens, Frau und Familie, Freunde und Hobbies, selbst an Wochenenden oder in Urlauben, noch vollständig abschalten und einfach mal runterkommen kann - außer beim Golf! Wenn ich freitags ins Wochenende gehe, kann ich nicht aufhören, gleich wieder die Stunden zu zählen, bis ich Montag wieder ins Büro muss. Bei den abendlichen (oder manchmal auch nächtlichen) Versuchen, einzuschlafen, gehen mir regelmäßig, manchmal noch über Stunden, dienstliche Probleme und deren potenzielle Lösungen durch den Kopf oder auch solche, zu denen ich noch keine potenziellen Lösungen habe und von denen ich mich dadurch hoffnungslos überfordert fühle.
Abgesehen von der Tätigkeit, mit der meine Frau und ich den o. g. Kaffeetassenspruch ad absurdum führen, ist Golf der einzige Zeitvetreib, bei dem ich mit vollkommen freiem Kopf absolut bei mir und meinem nächsten Schlag bin.

Ich denke, das macht einen nicht unerheblichen Teil meiner derzeit so großen Faszination für diesen Sport aus. Dort werden keine Alltags- oder Arbeitsprobleme gewälzt. Man konzentriert sich ausschließlich auf den nächsten Schlag, man freut oder ärgert sich ausschließlich über den letzten. Die wichtigen Probleme des Lebens sind unendlich weit weg, wenn man inmitten dieser wunderschönen grünen Oasen unserer Golfplätze, Lichtjahre von der wirklichen Welt entfernt, über den richtigen Schläger für den nächsten Versuch nachdenkt...

Ich glaube nicht, dass man sich extra eine der o. g. Erkrankungen zulegen muss, um die heilsame Wirkung einer Runde Golf genießen und schätzen zu können. Viele Menschen, die wissen, was Stress bedeutet, haben in diesem wunderbaren Spiel genau das Ventil, genau den Ausgleich gefunden, der sie wieder zu ihrer inneren Mitte finden lässt. Das habe ich selbst bei den wenigen bislang gespielten Runden und den relativ wenigen, dabei vorhandenen Spielpartnern bereits überproportional häufig erlebt. Und es ist vermutlich genau dieser Effekt, dieser "Urlaub vom Alltag", den man jemandem, der die eigene Begeisterung für Golf nicht nachvollziehen kann und es dabei selbst noch nie ausprobiert hat, nicht wirklich vermitteln kann.

An dieser Stelle möchte ich gerne einräumen, dass das sicher auch eine Typfrage ist und dass es ohne jede Frage auch andere Wege der Freizeitgestaltung geben mag, die manch anderem ein ähnliches Maß an Erholung und Abstand zu den eigenen Problemen bieten - in diesem Blog geht es allerdings um Golf und warum es für mich das ist, was es ist. Daher sorry, wenn ich all diese anderen Möglichkeiten hier einmal konsequent vernachlässige.

Mit dieser Erkenntnis ausgestattet hieß es nun also, die Zeit zu überstehen, bis die Verletzung abgeklungen war und ich zu meiner nächsten "Therapie - Sitzung" auf den Platz konnte...

Zuerst versuchte ich, möglichst wenig an Golf zu denken. Ohne jeden Erfolg. Ständig kamen mir Bilder vom Platz in den Kopf, Gedanken an einen perfekt gelungenen Abschlag, an einen erfolgreichen Putt oder auch an gemeinsames Lachen mit meinen Mitstreitern über einen mal wieder völlig missratenen Ball. Nachdem "Nicht - an - Golf - denken" also offenbar nicht funktioniert, versuchte ich es mit einer Ablenkung, die mich ursprünglich nicht unerheblich zu meinem Interesse für den Golfsport und letztlich auch zum damaligen Erwerb meines Schlägersatzes samt erstem Golfbag bewogen hatte: Online - Golf! Damals hatte ich "Shot Online" gespielt, nunmehr versuchte ich es mit einem Konkurrenzprodukt: "Golf Star". Es wird den geneigten Leser nicht allzu sehr überraschen, dass dieser Ablenkungsversuch nach relativ kurzer Zeit grandios scheitern musste. Es gelang mir, für einige Tage von dem Spiel fasziniert zu sein und meine Gedanken an reales Golf darauf zu übertragen. Aber Mausklicks sind nun einmal nicht dasselbe, wie Golfschwünge und auch ein schöner Bildschirm und ein Spiel mit hübscher Grafik, können die Frischlufterfahrung eines echten Golfplatzes völlig überraschend kaum ersetzen.

Meine Stimmung verdüsterte sich zusehens. So sehr, dass ich meine karge Freizeit an einem der nächsten Tage mit einer Tätigkeit füllte, die man am besten ausübt, wenn eh schon alles Scheixxe ist: zum Zahnarzt gehen!

Dort im Wartezimmer angekommen unterhielt ich mich gerade mit meinem Sohn - es war ein Termin für die ganze Familie und genau genommen, war er auch nicht spontan gewählt, sondern bereits vor Monaten vereinbart worden aber das passt nicht in die Dramaturgie dieses Posts - als mich der Blitz der Erleuchtung traf. Plötzlich wurde mir das Thema bewusst, mit dem ich problemlos über Wochen oder gar Monate einen Blog füllen konnte: Golf! Wenn ich schon nicht spielen konnte, wollte ich die freie Zeit wenigstens dazu nutzen, die bislang gesammelten Eindrücke aufzuschreiben. Die Hoffnung bestand darin, sich dadurch, dass ich meine bisherigen Erfahrungen noch einmal ausführlich revué passieren (schreibt man das so?) ließ, viel näher dem tatsächlichen Zustand während des Spiels annähern zu können als durch das Spielen eines Computerspiels, in dem ich nicht als ich selbst, sondern als ein gänzlich fiktiver Charakter agierte. Noch im Wartezimmer schrieb ich einen kleinen Schmierzettel mit den ersten 12 Überschriften für den zu eröffnenden Blog voll - auch wenn ich im Nachhinein an der einen oder anderen Stelle davon abgewichen und noch das eine oder andere dazwischen gestreut habe - mit dem Abschluss des letzten Posts über mein erstes Turnier und den heutigen Ausführungen über Golf als Therapie und meine Ablenkungsversuche in der Zeit der Verletzung, habe ich diese Liste nunmehr vollständig abgearbeitet.

In der Zwischenzeit haben sich noch zwei, drei neue Sachen ereignet, von denen ich in den nächsten Tagen berichten werden, danach werden es nur noch aktuelle Erlebnisse sein, die in Form weiterer Posts ihren Weg in diesen Blog finden werden. Die kurze Vergangenheit meiner Golf - Euphorie ist damit aufgearbeitet. Boah ey.

Die Beschäftigung mit diesem Blog half also für einige Wochen, dem tristen Thema, nicht Golf spielen zu können, auch etwas Positives abzugewinnen. Den übrig bleibenden Frust bekämpfte ich, wie sich das in unserer konsumorientierten Gesellschaft gehört, mit Kaufrausch! Mein Artikel über mein neues Bag und der außerdem kurz danach erworbene, neue Trolley zum Transport desselben, sprechen da eine deutliche Sprache. Trotzdem habe ich es nicht bereut, denn das Equipment ist wirklich toll. Es war aber eben auch zum Teil eine Kompensation meiner Sehnsucht nach dem Platz, sonst hätten diese Anschaffungen vielleicht auch noch bis zur nächsten Saison Zeit gehabt. Nun ja, habe ich in der kommenden Saison eben mehr Spielraum, mir nach und nach bessere Schläger zuzulegen...

Was bei meinem kurzen und erfolglosen Versuch, nach drei Wochen wieder Golf zu spielen, wurde, ist im Blogbeitrag "Der Frust des Golfers" nachzulesen, wobei zu ergänzen wäre, dass ich mittlerweile eine Zeugenbefragung zu meiner Geschwindigkeitsübertretung von immerhin 29 km/ h (nach Abzug der Toleranz) erhalten und mich schuldig bekannt habe. Mal sehen, welches Bußgeld mir blüht und mit wievielen Punkten ich mein Verkehrssünderkonto in Flensburg mit dieser Aktion, nach mehr als 21 Jahren ohne einen einzigen Eintrag, entjungfert haben werde.

Meine golffreie Leidenszeit endete 5 Wochen nach meiner ersten Turnierteilnahme mit meiner ersten erneuten Golfrunde in Wall am 19.10.2012, doch das wird das Thema des nächsten Posts sein...


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